3-Minuten-Kirche am 19. Juli

„Hey, Sie! Lassen sie alles stehen und liegen! Komm‘ se doch einfach mal mit!“
Wie schön, dass Sie hier her gekommen sind. Ich würde Sie gerne auf eine kleine Reise mitnehmen. Stellen Sie sich mal vor:
Sie sind handwerklich begabt und arbeiten schon seit vielen Jahren als Fischer. Der Lohn ist nicht allzu groß, aber sie kommen über die Runden und können damit Ihrer Familie helfen. Sie sitzen eines Tages mit Familienangehörigen zusammen bei dem kleinen Boot, das Ihnen gehört. Ihre Hände gehen ihrer gewohnten Tätigkeit nach und sie bearbeiten die raugewordenen Fischernetze. Da kommt ein fremder Mann vorbei, ohne sich vorzustellen, und ruft Ihnen nur zu, dass sie alles stehen und liegen lassen und mitkommen sollen.
Würden Sie das tun? Wenn es ein Notfall ist, dann bestimmt (hoffe ich zumindest). Aber was, wenn es kein Notfall ist? Was, wenn es einfach nur darum geht mit dieser Person mitzugehen und alles was Sie bisher kannten hinter sich zu lassen?
Das machen doch nur die ganz „durchgeknallten“, oder? Was passiert dann mit dem Hab und Gut? Wie soll man das Familie, Freunden und Bekannten erklären? Große Güte: Und dann die ganzen Verträge und Versicherungen, die man abgeschlossen hat. Und was ist mit dem Arbeitsplatz?
Zwei dieser durchgeknallten Typen sind uns namentlich bekannt: Jakobus (der Ältere) und sein Bruder Johannes. Von denen heißt es: „Und sie ließen auf der Stelle das Boot und ihren Vater zurück und folgten ihm.“ (Mt. 4, 22) Ich wette, Sie wissen bereits, wem die beiden dann folgten. Richtig: Jesus, unserem Herrn und Bruder.
„Ja, das ist ja auch eine Bibelgeschichte. Da geht das ja so einfach“ werden viele jetzt vielleicht denken. Stimmt! Aber ich glaube, diese Geschichte will uns etwas über Gott und unser Verhältnis zu ihm erklären: Gott tritt immer als ein Unbekannter in unser Leben und ruft nach uns.
Die Frage ist nur, sind wir bereit für Gott alles stehen und liegen zu lassen?
Herzlich grüßt Ihr Vikar Jan Edelstein
______________________________________________________________
3-Minuten-Kirche am 15. Juli 2020
Haben Sie auch die Bilder der vorwiegend jungen Leute auf Mallorca gesehen?
Dicht bei dicht, Arm in Arm und ohne Maske. Endlich raus aus dem Alltag, aus allem, was sonst bedrängt und einschränkt. Weite, das macht für viele den Reiz von Urlaub aus auch auf Mallorca, und für manche insbesondere der Ballermann. Und raus aus dem bedrängenden Alltag, das heißt für viele jetzt auch: Ich will raus aus Corona und den damit verbundenen Einschränkungen.
Wer möchte das nicht gerne? Also ehrlich, ich bin es auch Leid Freunde und Familie nicht treffen zu können, immer vorsichtig sein zu müssen. Nicht wenige ziehen daraus die Konse-quenz, ich mag das so nicht mehr mitmachen und brechen aus, nicht nur auf dem Ballermann, sondern auch bei Geburtstagsfeiern oder Grillpartys im Land. Ist doch alles nicht mehr so schlimm, geht doch. Ist doch auch immer weniger verboten – also?
Verstehen kann man es schon – aber gut ist das nicht!
Schließlich ist die Lage nur so entspannt, weil wir alle oder fast alle uns strikt zurückgenommen und die Hygieneregeln beachtet haben. Die Lage kann sich schnell zum Schlechten verändern, wenn wir es nicht mehr gewissenhaft tun, wie es u.a. in Israel, Australien und anderen Ländern der Welt zu beobachten ist. Alle Entbehrung zuvor, alle leidvolle Kontaktunterbrechung, alle wirtschaft-lichen Nachteile wären dann vergeblich gewesen, wenn wir jetzt nicht vorsichtig bleiben und durchhalten. Eine neue Welle wäre gesundheitlich – und es betrifft eben nicht „nur die Alten“, wie mancher unsolidarisch meint, sondern mit bleibenden Schäden und Todesfällen ebenso auch die Jungen - und dazu auch wirtschaftlich äußerst übel. Und dürfen, dürften wir dann auch nichts mehr.
Die Frage zu einem verantwortlichen Umgang ist also nicht, was ist gerade wohl so noch erlaubt? Und auch nicht: Mag ich das noch, so zu leben? Das mag wohl keine/r mehr! Sondern die Frage ist: Wie kann ich mit meinem Verhalten, Tun und Lassen dem Leben, dem Wohl aller dienen. Dazu gehört manchmal auch ein Kontakt, etwa ein behutsamer Besuch im Pflegeheim, eine Begegnung mit Kindern. Oft aber auch das Zurückstellen eigener Interessen und Wünsche, um des Lebens und Wohles von uns allen willen.
In einer Lebenshaltung zu der schon der Prophet Jesaja auffordert: „Suchet der Stadt Bestes“.
Denn, was allen zu Gute kommt, tut letztlich dann auch Euch/Dir gut. Und Jesus fasst es bekannter Maßen so zusammen: „Du sollst Deinen Nächsten lieben, wie Dich selbst!“ Die Konsequenz lautet: Was kann es wird es für ihn und mich bedeuten, wenn ich mich so oder so verhalte? Was dient seinem, meinem, unserem gemeinsamen Wohl? Und auf einmal ist es nicht mehr Gebot und Verbot, die unser Leben bestimmen, sondern das Leben, das es zu bewahren gilt.
Dann knallt es vielleicht nicht so, wie auf dem Ballermann. Aber es wird unser aller Leben, Gesundheit und Gemeinschaft dauerhaft wohl tun.
Eine gesegnete und behütete Zeit wünscht Ihnen, Ihr Pastor 

_______________________________________________________________
3-Minuten-Kirche am 08. Juli 2020

Neulich war ich in Alfeld unterwegs.
Während ich durch die Stadt gehe, höre ich Musik. Erst denke ich, das kommt aus einem Lokal auf dem Marktplatz. Doch beim Weitergehen stelle ich fest: Es kommt aus Richtung der Kirche. Ich stolpere mitten hinein in eine Open-Air Andacht an der St. Nicolai Kirche. Menschen stehen mit Masken bekleidet großzügig verteilt auf dem Außengelände, einige sitzen auf Steinstufen, Vorbeigehende bleiben kurz stehen. Auch ich setze mich auf eine Stufe und freue mich. Denn gerade wird gesungen. Draußen, mit Abstand, hinter Masken und mit Klavierbegleitung.
„Ich sing dir mein Lied“ - das kenne ich, da kann ich einfach so einstimmen und mitsingen.
Ich habe bisher keinen Gottesdienst besucht, seit es wieder möglich ist, eben weil mir das Singen dort so sehr fehlen würde. Und nun sitze ich unvermittelt mittendrin – im Gesang und in der Andacht.
Dann kommt das Vater unser und ich, die ich mir in der gottesdienstfreien Zeit angewöhnt hatte, immer dann, wenn die Glocken zum stillen Gebet geläutet haben, leise für mich ein Vater unser zu beten, ich stehe inmitten dieser Anderen und wir beten gemeinsam. Und plötzlich merke ich, dass mir Tränen die Wangen herablaufen. Ich bin bewegt, berührt und zutiefst beglückt. Mir war gar nicht klar, wie sehr ich das gemeinsame Beten und Singen vermisst habe. Bis ich plötzlich weinend dastand.
Dass die Liturgin sich als alte Schulfreundin und Wegbegleiterin im Ehrenamt entpuppte, die derzeit in Alfeld ihr Vikariat macht, war dann das Sahnehäubchen auf dem ohnehin schon wunderbaren Erlebnis.
„Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben. Die Töne, den Klang hast du mir gegeben von Zeichen der Hoffnung auf steinigen Wegen, du Zukunft des Lebens. Dir sing ich mein Lied.“
Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass auch Sie solch beglückende Momente erleben und sich in Gottes Nähe geborgen fühlen!
Ihre Diakonin 

_______________________________________________________________
3-Minuten-Kirche am 12. Juli 2020

Der 12. Juli ist der „Tag der Einfachheit“ - er erinnert an den Philosophen Henry David Thoreau, der am 12. Juli 1817 geboren wurde. Thoreau zog sich für eine Zeit aus dem sozialen Leben zurück. Über zwei Jahre lebte er in einer Blockhütte im Wald. In dieser Zeit hatte er nahezu keine sozialen Kontakte.
Nach seiner Rückkehr in die Zivilisation schrieb Thoreau seine Erfahrungen in dem Buch „Walden“ auf. Eine seiner Erkenntnisse lautet: „Den Reichtum eines Menschen kann man an den Dingen messen, die er entbehren kann, ohne seine gute Laune zu verlieren.“ Die Entbehrungen, die er im Wald durchgemacht hatte, haben in ihm erstaunlicherweise nicht den Wunsch „nach mehr“ geweckt. Vielmehr kam ihm die Einsicht, dass es begehrenswerter ist, nichts zu brauchen, anstatt alles zu haben.
Das Zitat Thoreaus erinnert mich an einen Satz aus der Bergpredigt, wo Jesus über die Dinge redet, die wir Menschen begehren. Am Ende steht sein Rat: „Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes. Sorgt euch nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.“
Sowohl Thoreau als auch Jesus haben erkannt, dass Menschen dazu neigen, sich von materiellen Dingen abhängig zu machen. Die Dinge dieser Welt sind zwar nicht an sich schlecht - aber wenn wir glauben, dass sie uns dauerhaftes Glück verschaffen können, dann sind wir abhängig von ihnen. Und wie sehr können wir unser Leben genießen, wenn wir im Innersten unfrei sind?
Gott will uns aus dieser Unfreiheit befreien damit wir die Fülle des Lebens erfahren. Diese Erfahrung hat wohl auch Paulus gemacht. Er schreibt: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“
Ich verstehe diese Freiheit des Geistes ganz im Sinne von Thoreaus Einsicht als eine Freiheit von den Dingen - und nicht als eine Freiheit, alles tun zu können. Freiheit bedeutet, Dinge entbehren zu können - ohne seine gute Laune zu verlieren.
Denn dann sind wir dem Reich Gottes schon einen Schritt nähergekommen.
Es grüßt Sie und euch: Ihr/ euer Pastor 

______________________________________________________
3-Minuten-Kirche am 05. Juli 2020

Ist der „liebe Gott“ eigentlich immer lieb?
Die Rede vom lieben Gott ist schön und angenehm. Das ist doch der, der uns immer beschützt, der alles zum Guten wendet, der bewahrt vor Unfall und Gefahr, der Wohl-stand und Glück, Gesundheit und langes Leben schenkt - und doch gefälligst auch zu schenken hat, wenn er lieb ist.
Wo finden wir diesen lieben Gott oder Hinweise darauf, dass er wirklich so ist?
In unserem Leben? Na ja, manchmal vielleicht, wenn es gerade gut läuft. So manche belastende, bedrohliche, schmerzliche Erfahrung will dazu aber gar nicht passen.
Oder in der schönen Natur? Wer so denkt, hat noch nie genauer hingeschaut, was da wirklich passiert. Da ist viel Schönheit und Leben, aber auch jede Menge Vergehen, Leiden, Sterben, Tod.
Aber dann vielleicht doch wenigstens in der Bibel? Nee, nicht wirklich. Den „lieben Gott“ kennt die Bibel nicht, sondern den aus brennender Liebe handelnden, der Leben will und schenkt und gerade deshalb auch Zorn empfindet und richtet (zu Recht bringt), was Leben verhindert, vernichtet.
Aber dann vielleicht doch wenigstens bei Jesus und im neuen Testament? Da ist er doch der „liebe Gott“ – oder? Naja lesen Sie mal Matthäus 25, das Gleichnis vom großen Gastmahl, die Bergpredigt, den Schalksknecht und vieles mehr. Auch hier begegnet uns der aus brennender Liebe handelnde Gott, aber nicht der „liebe Gott“ und erst recht nicht ein Prinzip Liebe, das alles bejaht.
Wie sollte wirkliche Liebe denn auch „Ja“ zu allem sagen, etwa zu Ungerechtigkeit, Gewalt, Verlogenheit, Betrug, Missbrauch? Doch wohl undenkbar!
Der „liebe Gott“ ist also verlässlich allenfalls in unserer Wunschvorstellung von ihm zu finden und die hat - wie wir wissen – auch sonst oft wenig Anhalt an der Realität, geschweige denn an der Wirklichkeit Gottes.
Der nämlich ist kein zeitloses Prinzip Liebe, kein Erfüller unserer Wünsche, wie die Fee im Märchen, sondern ein sich lebendig in der Beziehung zu seinen Geschöpfen wandelnder, der dabei aber immer bewegt ist von der Zuwendung und der Liebe zum Leben.
Was das gerade jetzt für mich heißt. Der „liebe Gott“ muss nicht reparieren, was zerbricht. Er muss nicht vor allem schützen, was bedroht. Aber es ist sehr gut zu wissen, dass alles, was uns zusammen, was mir persönlich oder meinen Lieben auch passieren kann, im Letzten umfangen ist und bleibt von seiner Liebe.
Also: Ist der liebe Gott eigentlich immer lieb? Nein, das ist er nicht. Aber er liebt immer, auch da, wo er mich an Grenzen stoßen lässt; da, wo unsere Wünsche sich nicht erfüllen; wo unser Leben bedroht ist; ja selbst, wo es schwindet und vergeht.
Die Geborgenheit in dieser Liebe Gottes, den wir Vater nennen dürfen, das wünscht Ihnen
Ihr Pastor 

_____________________________________________________________