3-Minuten-Kirche am 5. August

Szene 1:
Es ist heiß. Die Sonne scheint auf eine Stadt. Einst ein strahlendes Königreich. Jetzt brennt die Sonne auf eingestürzte Mauern. Die Straßen sind voller Schutt. Kein Handel, keine Gespräche, keine Menschen mehr zu sehen. In dieser Stadt gab es einen Tempel; einst reich verziert mit goldenen Kostbarkeiten. Nun liegt er brach, geplündert, verlassen. Flammen züngeln in der Stadt hier und dort empor. Rauch steigt in langen Säulen in den Himmel.
Hier und dort kann man Stimmen vernehmen: „Was soll ich essen? Wo soll ich leben? Was soll ich nur tun?“
In dieser Stadt sitzt jemand über einem Stück Papyrus und schreibt einen langen Text. Diese Person hat keine Angst. Im Gegenteil: Dieser bedrückenden Situation zum Trotz, ist diese Person voller Hoffnung. Sie erinnert sich an ein Versprechen, dass ihr gegeben wurde. Sie schreibt: „Am Tag, da ich rief, hast du dich genaht, du sprichst: Fürchte dich nicht!“
Szene 2:
Das Haus und das Dorf in dem ich lebe sind unversehrt. Menschen gehen einkaufen, unterhalten sich in der Sonne, man hört Gelächter. Und doch habe ich häufig Angst: „Bin ich gesund?“ „Wie soll es weitergehen?“ „Kann mein Kind in einer sicheren Welt leben?“ „Ich fühle mich allein, ist da irgendjemand?“ Ich möchte am liebsten laut schreien und sofort eine Antwort bekommen.
In meiner Not recherchiere und lese ich. Auch in einem alten, dicken Buch. Darin finde ich einen Satz, wohl knapp 2600 Jahre alt: „Am Tag, da ich rief, hast du dich genaht, du sprichst: Fürchte dich nicht!“ (Klgl. 3, 57)
Ich lasse den Satz in mir wirken und merke plötzlich: Ich bin vielleicht gerade allein, aber nicht einsam. Meine Probleme sind noch ungelöst, doch ich habe den Mut und die Kraft gefunden, sie anzugehen. Weil ich an ein Versprechen erinnert wurde, das, wenn auch vor Jahrtausenden gegeben, auch mir, jetzt und heute gilt. Und ich beginne zu verstehen: An dem Tag, da ich rief, hat er sich genaht und spricht: „Fürchte dich nicht!“
Herzlich grüßt, Vikar Jan Edelstein
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3-Minuten-Kirche am 2. August 2020
„Zwei Menschen sind miteinander unterwegs, beide gehen in schnellem Schritt nebeneinander her. Da macht der eine ganz unvermittelt eine Pause, setzt sich einfach nur hin und sagt auch nichts dazu. Der andere versteht das nicht und drängelt, weiter zu gehen. Da sagt der erste: Ich muss erst meine Seele nachkommen lassen.“
Diese kleine Geschichte habe ich vor 10 Jahren bei meiner Einführung hier im Gemeindeverband erzählt. Gerade umgezogen und voller neuer Eindrücke musste ich erst einmal ankommen, und das mit Leib UND Seele.
Nun bin ich längst richtig angekommen und habe auch schon die ein oder andere zarte Wurzel geschlagen. Trotzdem begleitet mich in den letzten Wochen schon wieder das Gefühl, dass ich meine Seele nachkommen lassen muss. Woran liegt das? Im letzten halben Jahr hat sich vieles in einer rasanten Geschwindigkeit verändert.
Zuerst der komplette Lockdown, der so vorher nicht vorstellbar gewesen wäre. Dann die schrittweisen Lockerungen, die fast wöchentlich neue Regeln mit sich brachten. Das alles immer begleitet von den Überlegungen, was das jetzt für die Arbeit in der Gemeinde, für Gottesdienste, Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und Konfirmand*innen heißt. Jetzt sind Ideen da, Konzepte und Terminpläne fertig und niemand weiß, angesichts der wieder steigenden Infektionszahlen, ob das alles realisierbar wird. Diese permanente Unsicherheit und die immer neuen Veränderungen hinterlassen in mir das Gefühl, dass meine Seele bei all dem nicht hinterherkommt.
Auf der Suche nach einem Ruhepunkt ist mir ein Bibelvers begegnet, der mich schon so manches Mal in meinem Leben begleitet hat. Da sagt Jesus: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ (Mt 11, 28+29) Da ist jemand bei dem ich meine Sorgen und Nöte lassen kann und der mir die nötige Kraft und Ruhe gibt für das, was auf mich wartet. Der lässt auch meine Seele nachkommen.
Einen solchen Ruhepol in diesem Sommer wünscht Ihnen Ihre Pastorin
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3- Minuten-Kirche am 26. Juli

Neulich habe ich „Selma“ geschaut. Der Film spielt im Jahr 1965 im US Bundesstaat Alabama. Kurz zuvor hatte der Civil Rights Act die Rassentrennung aufgehoben. In vielen Staaten wurden Schwarze dennoch systematisch von Wahlen ausgeschlossen. Mit friedlichen Protestmärschen kämpften die Menschen gemeinsam mit Martin Luther King für ihre Rechte – und wurden mit Gewalt vertrieben. Erst ein dritter Marsch erreichte sein Ziel. Im März 1965 schließlich wurde der Voting Rights Act verabschiedet, ein Gesetz, das diskriminierende Wahltests für unzulässig erklärt.
Ein Film mit Happy End also?
Vor zwei Monaten starb der Afroamerikaner George Floyd durch eine gewaltsame Festnahme. Der Fall löste Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus aus – nicht nur in den USA. Auch hierzulande wurde unter dem Stichwort black lives matter gegen Rassismus und Diskriminierung demonstriert.
Seit Anfang Juli wird über eine Studie zu racial profiling innerhalb unserer Polizei diskutiert. Institutioneller Rassismus, auf Stereotypen beruhendes Handeln, Vorurteile und diskriminierende Gewohnheiten – wir alle sind davon betroffen. Kein Happy End also!
Das Problem des Rassismus oder der Diskriminierung von Menschen vermeintlich anderer Rassen, Ethnien, Religionen, sexueller Ausrichtungen, ... ist keineswegs gelöst.
Unsere Landeskirche hat die Aktion #stillerprotest ins Leben gerufen: ein grünes Armband, um Stellung zu beziehen. #stillerprotest bestreitet nicht den Sinn von Demonstrationen, sondern setzt auf die Kraft von gemeinsamen Zeichen und Gesten. #stillerprotest bedeutet für mich, Haltung zu zeigen, ganz nebenbei, ohne viele Worte. Insofern ist das Tragen dieses kleinen grünen Bändchens eine Ergänzung zum „lauten“ Protest. Und meine eigene kleine Erinnerung, mich in allem, was ich tue und sage, selbstkritisch zu hinterfragen.
„Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Mt. 5, 9
Bei mir gibt es grüne Bändchen für alle, die eins wollen - einfach melden!
Herzlich grüßt Sie und euch Diakonin 

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3-Minuten-Kirche am 29. Juli 2020

Haben Sie mal eine Minute?
Wie kurz ist doch eine Minute! Dabei ereignen sich unglaublich viele Dinge in 60 Sekunden: Weltweit werden knapp 150 Menschen geboren. Zeitgleich kommt die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne ungefähr 1800 Kilometer voran. Und unser Körper produziert in einer Minute unfassbare 35.000.000 neue Körperzellen.
Die Beispiele zeigen, wieviel Leben sich in so einer unscheinbaren Minute abspielen kann.
Unscheinbar ist ein gutes Stichwort: Wir können die Zeit nicht sehen, anfassen oder schmecken - und doch ist sie wie die Farbe, mit der wir unser Lebensbild malen. Ohne sie, sind wir nicht. Als Christen müssen wir zwar keine Angst vor dem Tod haben, dennoch sollten wir die Zeit, die uns bis dahin gegeben ist, als etwas Kostbares wertschätzen und genießen. So heißt es im Buch Kohelet: „Ich bin zu der Erkenntnis gekommen: Das Beste, was der Mensch tun kann, ist, sich zu freuen und sein Leben zu genießen, solange er es hat.“ (Koh 3,12)
Ich glaube, viele Menschen führen sich allzu oft nicht vor Augen, wie wertvoll die Zeit ist. Ohne konkreten Anlass machen sich wohl nur die Wenigsten ernsthaft Gedanken über die Endlichkeit des eigenen Lebens. Doch das ist schade. Denn gerade das Bewusstsein, dass die Zeit begrenzt ist, kann uns eine viel größere Wertschätzung für den einzelnen Moment geben.
Jemand, der mit einer einzigen Flasche Wasser durch die Wüste zieht, weiß jeden Tropfen wertzuschätzen - Im Gegensatz zu jemandem, aus dessen Wasserhahn das Wasser ohne Ende zu kommen scheint. Nur weil die Zeit begrenzt ist, ist sie so wertvoll. Daher sollten wir jeden Moment auskosten und genießen.
Die Freude am Leben ist unter den momentanen Umständen zwar nicht ungetrübt, dennoch sollten wir auch jetzt versuchen, der Einsicht des Buches Kohelet zu folgen; nämlich das Leben zu genießen und Gott dafür zu danken.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele schöne, sommerliche Augenblicke!
Ihr / euer Pastor 

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3-Minuten-Kirche am 22. Juli 2020

Kennen Sie den gleichnamigen Film von Roberto Benigni?
Er erzählt die Geschichte eines Vaters, der während des dritten Reiches mit seinem Sohn in ein Konzentrations-lager kommt. Die Situation ist übel, ja beklemmend. Dem Vater aber ist klar: jammern, klagen, verbittern wird die Situation nicht verändern, sondern sein Leben - und noch viel wichtiger - das seines Sohnes nur umso mehr belasten. Deshalb versucht er für sich und für ihn das Allerbeste draus zu machen. Er sucht mit ihm und für ihn die guten Seiten des Lebens selbst noch unter solchen Bedingungen. Er genießt mit ihm all das, was an Gutem trotz allem möglich ist. Und er nimmt die Situation mit Humor, macht die bedrängenden Gegebenheiten zu einem Spiel, in dem es sich gemeinsam zu bewähren gilt. Über allem steht: Das Leben ist schön und soll auch schön bleiben – trotz allem.
Ich finde, das ist ein ausgesprochen hilfreicher Ansatz immer und erst recht in diesen speziellen Zeiten. Das Leben ist und bleibt schön, auch und gerade jetzt. Manchmal entdecken wir gerade dann, wenn etwas bedroht, nicht mehr selbstverständlich ist, wie wichtig, schön und lebenswert es ist, Begegnungen mit lieben Menschen etwa. Und das achtsam und ja, auch auf Abstand, gerade, weil sie uns lieb und wert sind und wir uns gegenseitig schützen wollen.
Ja, es ist wirklich schön, ein befreundete Paar nach langer Zeit wieder draußen auf der Terrasse sehen können. In nicht immer einfachen Zeiten spielerisch nach dem zu suchen, was alles geht, ohne einander zu gefährden, kreativ umgehen mit dem, was jetzt nötig ist – wie viele schöne Motive für Atemschutzmasken es inzwischen gibt, oder andere Formen der Begegnung suchen z.B. über Internet und Telefon oder auch das Zuwinken und freundliche Zunicken über den Zaun, beim Einkauf. Das tut uns gut.
Ja, das Leben ist und bleibt schön, wenn wir das Beste draus machen, spielerisch und kreativ mit dem Leben und der Situation umgehen, seiner Schönheit nachspüren und es gleichzeitig, soweit es in unserer Macht liegt, schützen, gerade weil es schön und lebenswert ist.
Und dazu ist es auch noch – so glauben wir als Christen - trotz aller Bedrohung von Gott bewahrt. Sagt Gott doch z.B. in Jesaja 43,1, einem beliebten Taufspruch und dem Wochenspruch dieser Woche zu: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!
Wenn das Vertrauen darauf keine gute Basis ist, das Leben so gelassen, spielerisch und zugleich verantwortlich wie nur möglich zu leben, wie der Vater im Film für sich und seinen Sohn?
Herzlich grüßt sie, Ihr Pastor 

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